Chile - das Gesicht eines Landes, das „siegt“

■ Nach dem Referendum blieb das Chaos aus, das sich Pinochet wünschte / Finanzminister Büchi beherrscht die Tagesordnung der Wirtschaftspolitik

Santiago / Berlin (taz) - General Pinochet, der seit dem Referendum vom 5.Oktober nicht mehr für die Präsidentschaft von 1989 bis 1997 kandidieren darf, hatte seine „Wahlkampagne“ unter eine optimistische Parole gestellt: „Un pais ganador“ - „Ein Land, das siegt“. Die Regierung bemühte sich, ein Image des Fortschrittes zu vermitteln und betont immer wieder, daß das Land dabei sei, das Stadium der Unterentwicklung endgültig hinter sich zu lassen - wenn beim Plebiszit das „Ja“ gewinne. Bei einem Sieg der Opposition hingegen zeichne sich nur Gewalt und heilloses Chaos ab.

Genau das ist mit dem Sieg des „Nein“ ausgeblieben. An der Börse blieb es ruhig, die reicheren ChilenInnen flüchteten sich nicht weiter in den Dollar, als sie es ohnehin tun, und sogar die Unternehmerverbände murrten kaum.

Doch im erbarmungslosen Kampf um Bilder, die sich in den Köpfen festsetzen, hatte das „Pais ganador“ der Regierung natürlich nicht das Gesicht des alternden Diktators. Nein, hier kam Hernan Büchi, der Finanzminister, zum Zug. Der jugendlich-dynamische Politiker mit seinem Pilzkopf -Haarschnitt und legerem Habitus strahlt ein Image aus, das dem Diktator fehlt. Büchi ist ein Mann, der sich - fernab aller Repression dieser Diktatur - als ziviler und effizienter Technokrat empfiehlt, ein Macher, der das Land aus der tiefen Krise von 1981 bis 83 herausgeführt hat, der Architekt des wirtschaftlichen Aufschwungs quasi. Die Effizienz seiner Wirtschaftspolitik nötigt sogar seinen erbittertsten politischen Gegnern mitunter Respekt ab.

Mindestens zwei Erfolge hat der Senkrechtstarter Büchi vorzuweisen: die Kontrolle der Inflation und die Verringerung des Haushaltsdefizits. Dies hat einen Wirtschaftsaufschwung ermöglicht, der auf einer Expansion des Exports basiert. So stieg die Ausfuhr nichttraditioneller Exportgüter (im wesentlichen Früchte, Hölzer und Meeresprodukte) 1986 um 10,4 Prozent und 1987 um weitere 20,1 Prozent an. 1987 exportierte Chile solche Güter im Wert von über fünf Milliarden Dollar, das macht ungefähr 30 Prozent des Bruttosozialproduktes (BSP) aus. Zum erstenmal in der Geschichte überflügeln Chiles Ausfuhren damit diejenigen Argentiniens, des traditionell exportorientierten Nachbarlandes.

Büchi gelang es, die Importe entscheidend zu drosseln, so daß ein bedeutender Überschuß in der Handelsbilanz erzielt wurde. Während 1982 noch mit einem Defizit von 2,2 Milliarden Dollar abgeschlossen wurde, übertrafen die Exporte 1987 die Importe um 1,3 Milliarden. Zwischen 1984 und 1987 konnte Büchi auf Wachstumsraten von durchschnittlich fünf Prozent verweisen. Zudem stieg 1987 noch der Weltmarktpreis für Kupfer um 30 Prozent, und der Verkauf von Kupfer macht immerhin 41 Prozent der Exporterlöse Chiles aus.

Das Land bleibt weiter stark verschuldet. Zu Beginn dieses Jahres stieg die Außenschuld auf 20 Milliarden US-Dollar, und die Zinsen, die 1987 gezahlt wurden, machten 39 Prozent der Gesamtexporte oder 12 Prozent des Bruttosozialproduktes aus. Zwischen 1981 und '86 verlor Chile mehr als ein Sechstel seines BSP als Netto-Kapitaltransfer an seine Gläubiger.

Der Exportsektor, der dynamischste der Wirtschaft, erweist sich als unfähig, in dem Maße für Beschäftigung zu sorgen, wie das Land es erfordert; und wenn er es macht, dann mit unsicherer Arbeit und schlecht bezahlt. Das trifft ganz besonders die Jugendlichen. 1986 stieg hier die Arbeitslosigkeit auf 40 Prozent. Insgesamt gilt: 80 Prozent der zwölf Millionen ChilenInnen müssen die sozialen und wirtschaftlichen Kosten dieser neoliberalen Politik tragen.

Eines der wichtigsten Instrumente der Diktatur gegen die Bevölkerung sind die Gemeindeverwaltungen. Die Reform der kommunalen Strukturen übertrug den Bürgermeistern besonders in den Dörfern und auf dem Land eine direkte Kontrolle.

Die Bürgermeister verteilen an die Armen sehr niedrige Zuschüsse. Zweifellos hängen die Arbeitslosen und ihre Familien auf vielfältige Art und Weise von diesen Geldern ab, weil es die einzige Einkommensquelle ist, oder zumindest die einzige regelmäßige. Die Altersrente beläuft sich derzeit auf monatlich 4.000 Pesos (25 DM). Ein Familienzuschuß von monatlich 600 Pesos (3 Mark 80) gilt für eine Million Personen und vermittelt eine Idee von der Größe der Armut - und vom Umfang der Mittel, die die Diktatur zu ihrer „Abhilfe“ bestimmt.

Wenn die Diktatur zerfällt und sich die Möglichkeit eröffnet, eine neue Regierung zu bilden, müßte vordringlich der Kampf gegen diese extreme Armut ausgeweitet werden. Finanzielle Basis der Umstrukturierung kann die Unterbindung des Netto-Kapitalabflusses ins Ausland sein, mit dem der Schuldendienst bezahlt wird, der im Jahr 1986 4,3 Prozent des Bruttosozialproduktes betrug. In jedem Fall können die Zinszahlungen zwei Prozent nicht überschreiten.

Unabdingbar erscheint eine Reform des Versicherungssystems. Hier vereinigen vier transnationale Konzerne etwa 70 Prozent der Sozialversicherung auf sich - das entspricht acht Prozent des BSP.

Die starke Konzentration des Reichtums, der vom neoliberalen Schema gefördert wird, erzwingt es auch, ein gerechteres Abgabensystem zu organisieren, das Steuerflucht vermeidet. Dies würde eine Stärkung der Finanzkassen erlauben, die bis zu 2,5 Prozent des BSP bedeuten könnte, womit soziale Aufgaben, Investitions-Programme oder Arbeitsprogramme finanziert werden können.

Der Rückgang der Militärausgaben ist etwas, das ausführlich analysiert und im Hinblick auf Tunlichkeit und seine politische Konsequenzen erwogen werden muß. Und unumgänglich muß die Geldentwertung kontrolliert werden, um nicht wieder in die Inflationsspirale der vordiktatorischen Regierungen zu geraten, die für Ultrarechte und Putschisten so nützlich war. Preisstabilität, das ist die jüngste Erfahrung der Nachbarländer Chiles, muß um jeden Preis aufrecht erhalten bleiben.

Die Verwandlung des Finanzsystems von einem wesentlich spekulativen zu einem, das ein Werkzeug der Entwicklung und der Verbesserung der produktiven Investitionen ist, ist ebenfalls ein unabdingbares Mittel. Die Stärkung der Bankenaufsicht erscheint dazu der am ehesten angezeigte Weg.

Sicherlich werden diese nötigen Wechsel die Grenzen des Horizontes von Minister Büchi übersteigen, und sie sind auch nicht Gegenstand seiner Erklärungen, Konferenzen und Fernsehauftritte, wo nur die Erfolge des „Siegerlandes“ Thema sind. Der Minister redet ebensowenig über die Politik wie über die Menschenrechte. Unter solchen Umständen erscheinen seine Ausführungen als überwiegend technisch, so, als habe er mit den „schwarzen“ Zonen der Diktatur nichts zu tun.

Seine öffentlichen Auftritte können diskutierbar sein, aber sie vermitteln ein Gefühl von Glaubwürdigkeit und Seriösität. Auch damit trägt er auf bemerkenswerte Weise der Tatsache Rechnung, daß in Chile verdeckt werden muß, wie kolossal der Gegensatz zwischen Barbarei und Demokratie in Chile ist.

Hugo Calderon/diba